
Maja Nowak
Der Hund als Spiegel
Wenn du mit einem Hund lebst oder ein Kind großgezogen hast, wirst du wissen, dass ähnliche Situationen nie gleich laufen. Egal, welche Methode du wählst, es ist nicht so sehr entscheidend, was du tust, sondern WER in dir es tut. Ist es dein Selbst, das unvoreingenommen und absichtslos in die Situation hineingeht, ein verletzter, traumatisierter Anteil, der in Panik gerät oder ein innerer Stratege, der die Situation kontrollieren und managen will. Dein Hund (oder Kind) kann sich nur auf das beziehen, was du in diesem Moment von dir anbietest und wird dir entsprechend antworten. Hunde (wie Kinder) verbinden sich mit großer Bereitschaft und Freude mit deinem gesunden Selbst, weil damit ein echter Kontakt möglich ist. Versucht jedoch der Stratege in uns den Kontakt rein funktional herzustellen, beschwichtigen Hunde häufig oder sie verweigern sich, weil sie mit diesem Anteil nicht wirklich in Kontakt treten können und uns darauf aufmerksam machen wollen. Ist ein verletzter, traumatisierter Anteil in dir sehr aktiv, stehen Hunde diesem häufig bei und versuchen, ihn zu beschützen. Dies sind Beobachtungen, Erfahrungen und Studien aus sechzehn Jahren therapeutischer Mensch-Hund Arbeit.
Trauma bei Hunden
Einige Hunde haben inzwischen ebenfalls ein Entwicklungstrauma nach einem Aufenthalt im Tierheim oder nach der Auslöschung ihrer Identität durch Starkdressur. Auch ein einmaliges Erlebnis wie ein Unfall, ein Beißvorfall oder eine OP kann zu einem Schocktrauma führen. Dieses Bewusstsein ist wesentlich, um zu verstehen, warum ein Abwehrverhalten eines traumatisierten Hundes nur seine eigene Bewältigungsstrategie des Traumas darstellt und keine Charaktereigenschaft von ihm ist. Sein System reagiert bei einem bestimmten Reiz, der das Trauma berührt. Beginnt man dieses Verhalten nun seinerseits abzuwehren und zu unterdrücken, bringt man den Hund entweder zu einem noch größeren Abwehrverhalten oder in die Dissoziation und Erstarrung. Bricht ein vormals "aggressiver" Hund dann innerlich zusammen, nennen wir ihn oft einen braven Hund.
Der Hund als Spiegel deiner Kindheit
Häufig löst es innere Panik in Menschen aus, wenn ihr Hund zum Beispiel an der Leine Frustrationen zeigt und andere das negativ kommentieren. Da helfen auch keine Tipps und gutgemeinten Ratschläge an den Halter, souveräner und ruhiger zu sein. Häufig sind wir als Kind abgelehnt worden, wenn wir ungehemmt Wildheit oder Wut ausgedrückt haben. Zeigt nun der eigene Hund so ein Verhalten, kann dieser Anteil in uns in große Angst und Not geraten - bemüht er sich doch vielleicht seitdem, bei Begegnungen unauffällig und angepasst zu wirken. Er kann sich also verraten und vorgeführt durch den Hund fühlen und natürlich liegt die Idee nahe, wenn man dem Hund sein (oft vollkommen natürliches) Verhalten abgewöhnen würde, wäre alles gut. Doch jeder von uns weiß: alle Themen, die noch nicht gelöst sind, begegnen uns in anderer Form wieder.
Bewertungen
wie brav, unfolgsam, gut hörend, schlecht hörend, guterzogen und schlechterzogen sind Begriffe, die wir von Kind auf kennen. Doch erst wenn wir zu unserer gewachsenen Identität, wie auch zu der des Hundes stehen und sie unvoreingenommen und ohne Bewertung wahrnehmen, können wir uns tatsächlich entwickeln.
Projektion
Ein traumatischer Hintergrund bei uns Menschen ist immer angefüllt mit großer Scham und Schuldgefühlen. Du wirst dich erinnern, wie es sich anfühlt, wenn jemand etwas Abfälliges oder auch nur nicht Zutreffendes über deinen Hund äußert. Die innere Zündschnur zu unserem eigenen Anteil fängt sofort Feuer, und wir reagieren oft mit sehr heftiger Abwehr. Mir scheint, dass inzwischen jeder Tropfen zu viel ist, der als Beschämung noch von außen hinzukommt. Deshalb wehren wir sie so heftig ab. Häufig schieben wir sie dann zu unserem Gegenüber, um im Gleichgewicht zu bleiben. Wir werten den Anderen innerlich ab, beschimpfen ihn, wollen ihn vom Gegenteil überzeugen usw. Du erkennst eine traumatische Aktivierung in dir immer daran, dass sie noch lange nach dem Ereignis anhält.
Gesellschaftliches Trauma
Das Trauma-Erbe, das viele Generationen nach Kriegen und anderen tiefgreifenden Erlebnissen nicht integrieren konnten, wird an die nächsten Generationen weitergegeben, weil sich Kinder an die Aufspaltung ihrer Eltern anpassen müssen. Es sollte uns deshalb bewusst sein, dass jeder Mensch, der sein eigenes Trauma integriert, auch zur Heilung anderer beiträgt.