Der Hund als Spiegel
Wenn du mit einem Hund lebst oder ein Kind großgezogen hast, wirst du wissen, dass ähnliche Situationen nie gleich laufen. Egal, welche Methode du wählst, es ist nicht so sehr entscheidend, was du tust, sondern WER in dir es tut. Ist es dein Selbst, das unvoreingenommen und absichtslos in die Situation hineingeht, ein verletzter, traumatisierter Anteil, der in Panik gerät oder ein innerer Stratege, der die Situation kontrollieren und managen will. Dein Hund (oder Kind) kann sich nur auf das beziehen, was du in diesem Moment von dir anbietest und wird dir entsprechend antworten. Hunde (wie Kinder) verbinden sich mit großer Bereitschaft und Freude mit deinem gesunden Selbst, weil damit ein echter Kontakt möglich ist. Versucht jedoch der Stratege in uns den Kontakt rein funktional herzustellen, beschwichtigen Hunde häufig oder sie verweigern sich, weil sie mit diesem Anteil nicht wirklich in Kontakt treten können und uns darauf aufmerksam machen wollen. Ist ein verletzter, traumatisierter Anteil in dir sehr aktiv, stehen Hunde diesem häufig bei und versuchen, ihn zu beschützen. Dies sind Beobachtungen, Erfahrungen und Studien aus sechzehn Jahren therapeutischer Mensch-Hund Arbeit.
Trauma bei Hunden
Einige Hunde haben inzwischen ebenfalls ein Entwicklungstrauma nach einem Aufenthalt im Tierheim oder nach der Auslöschung ihrer Identität durch Starkdressur. Auch ein einmaliges Erlebnis wie ein Unfall, ein Beißvorfall oder eine OP kann zu einem Schocktrauma führen. Dieses Bewusstsein ist wesentlich, um zu verstehen, warum ein Abwehrverhalten eines traumatisierten Hundes nur seine eigene Bewältigungsstrategie des Traumas darstellt und keine Charaktereigenschaft von ihm ist. Sein System reagiert bei einem bestimmten Reiz, der das Trauma berührt. Beginnt man dieses Verhalten nun seinerseits abzuwehren und zu unterdrücken, bringt man den Hund entweder zu einem noch größeren Abwehrverhalten oder in die Dissoziation und Erstarrung. Bricht ein vormals "aggressiver" Hund dann innerlich zusammen, nennen wir ihn oft einen braven Hund.
Der Hund als Spiegel deiner Kindheit
Häufig löst es innere Panik in Menschen aus, wenn ihr Hund zum Beispiel an der Leine Frustrationen zeigt und andere das negativ kommentieren. Da helfen auch keine Tipps und gutgemeinten Ratschläge an den Halter, souveräner und ruhiger zu sein. Häufig sind wir als Kind abgelehnt worden, wenn wir ungehemmt Wildheit oder Wut ausgedrückt haben. Zeigt nun der eigene Hund so ein Verhalten, kann dieser Anteil in uns in große Angst und Not geraten - bemüht er sich doch vielleicht seitdem, bei Begegnungen unauffällig und angepasst zu wirken. Er kann sich also verraten und vorgeführt durch den Hund fühlen und natürlich liegt die Idee nahe, wenn man dem Hund sein (oft vollkommen natürliches) Verhalten abgewöhnen würde, wäre alles gut. Doch jeder von uns weiß: alle Themen, die noch nicht gelöst sind, begegnen uns in anderer Form wieder.
Bewertungen
wie brav, unfolgsam, gut hörend, schlecht hörend, guterzogen und schlechterzogen sind Begriffe, die wir von Kind auf kennen. Doch erst wenn wir zu unserer gewachsenen Identität, wie auch zu der des Hundes stehen und sie unvoreingenommen und ohne Bewertung wahrnehmen, können wir uns tatsächlich entwickeln.
Projektion
Ein traumatischer Hintergrund bei uns Menschen ist immer angefüllt mit großer Scham und Schuldgefühlen. Du wirst dich erinnern, wie es sich anfühlt, wenn jemand etwas Abfälliges oder auch nur nicht Zutreffendes über deinen Hund äußert. Die innere Zündschnur zu unserem eigenen Anteil fängt sofort Feuer, und wir reagieren oft mit sehr heftiger Abwehr. Mir scheint, dass inzwischen jeder Tropfen zu viel ist, der als Beschämung noch von außen hinzukommt. Deshalb wehren wir sie so heftig ab. Häufig schieben wir sie dann zu unserem Gegenüber, um im Gleichgewicht zu bleiben. Wir werten den Anderen innerlich ab, beschimpfen ihn, wollen ihn vom Gegenteil überzeugen usw. Du erkennst eine traumatische Aktivierung in dir immer daran, dass sie noch lange nach dem Ereignis anhält.
Gesellschaftliches Trauma
Das Trauma-Erbe, das viele Generationen nach Kriegen und anderen tiefgreifenden Erlebnissen nicht integrieren konnten, wird an die nächste Generation weitergegeben. Es sollte uns deshalb bewusst sein, dass jeder Mensch, der sein eigenes Trauma integriert, auch zur Heilung anderer beiträgt.
Dem Hund etwas abgewöhnen
Berührt ein Hund einen traumatisierten Anteil in einem Menschen, versuchen die Halter häufig das auslösende Verhalten des Hundes zu korrigieren. Das tritt z.B. deutlich zutage, wenn dich ein aggressiver Ausdruck deines oder eines anderen Hundes in nackte Angst versetzt, die auch im Anschluss nicht abklingt. Oder du gerätst in Wut, Panik oder Erstarrung, wenn dein Hund große Ängste zeigt und dich dadurch mit deinen eigenen abgespaltenen Ängsten erneut in Kontakt bringt. Das Thema "des Hundes" wird dann einen beherrschenden Raum in deinem Leben einnehmen. Der Plan des Strategen ist dann: Wenn der Hund das und das nicht mehr tut, komme ich erst gar nicht in diese Verfassung, das gilt natürlich auch für Verhaltensweisen von Kindern, Ehepartnern, Freunden und Kollegen, die bei uns Trauma berühren.
Eine Frau zum Beispiel ängstigte sich furchtbar, wenn ihr Hund an der Leine einen anderen Hund anbellte. Deshalb ging sie nur zu Uhrzeiten in den Wald, an denen sie damit rechnen konnte, keinen anderen Hundehalter zu treffen und führte den Hund immer an der Leine. Ihre Schwester hatte ihr erzählt, dass ein Hund sie auf der Schaukel angebellt hätte, als sie ein Jahr alt gewesen war. Daher kam ihre These, sie hätte wahrscheinlich deshalb Angst vor dem Bellen und Hundeangst im Allgemeinen.
Die Frau kam in einen meiner Heilkreise und hatte die Fähigkeit, sich so unsichtbar zu machen, dass ich auch am letzten Tag fast nicht bemerkt hätte, dass sie als Einzige ihr Thema noch nicht vorgetragen und bearbeitet hatte. Ihr Anliegen war, herauszufinden, wie ihr Hund aufhören würde, andere Hunde an der Leine anzubellen. Ein Verhalten, das sie stets in starke Panik versetzte.
Bei einer Aufstellungsarbeit, in der sie einen Teilnehmer als ihren Hund stellte, zeigte sich schnell der Grund. Immer wenn der Hund bellte, riss er den Tarnmantel ihrer Unsichtbarkeit herunter und machte sie sichtbar. Andere schauten dann zu ihnen herüber und ihre Blicke waren oft tadelnd oder vorwurfsvoll. Sie signalisierten, dass man von so einem großen Hund (Hovarwart-BernerSennen-Mix) mehr Gehorsam erwarte. Das berührte ein Trauma der Frau - hatte sie doch ihre ganze Kindheit über die überwältigende Erfahrung gemacht, für jeden ungebremsten kindlichen Ausdruck Abwertung und Strafe zu erleben. Diese über Jahre gehende Erfahrung war tief in ihrem Unterbewusstsein verankert. Aufzufallen löste in ihr die Todesangst des Kindes aus, ausgestoßen und fallengelassen zu werden und dann letztlich sterben zu müssen. Das Kind in ihr, das auf das Bellen reagierte, war, wie wir herausfanden, vier Jahre alt.
Der Hund, ein sanfter, hingebungsvoller Charakter, beschützte es und bellte jeden weg, der sich ihm näherte. Die Frau hatte meine Videos angesehen und Bücher gelesen und immer wieder versucht, funktional umzusetzen, was sie dort über Führung und Sicherheit lernte. Wie den meisten Menschen war ihr dabei nicht bewusst gewesen, dass ein so kleines, panisches Kind keine Führung übernehmen kann. Es kann nur erstarren oder fliehen - also genau das, was die Frau in solchen Situationen tat. Natürlich hatte sie die ganze Zeit über versucht, dem Hund das Bellen abgewöhnen, weil sie sein Verhalten als Ursache ihrer Panik ansah. Der Hund jedoch reagierte darauf dass ihre Panik immer dann auftauchte, wenn ein anderer Hund in Sicht kam. Selbst ein Hund mit weniger gut ausgebildeten Schutztrieb wie die Rasse des Hovawart hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass die Frau offenbar Angst vor anderen Hunden hatte und Schutz brauchte. Die Versuche der Frau, ihrem Hund das Bellen abzugewöhnen, bedeuteten für den Hund - er hätte sie im Stich lassen müssen. Hunde kommen durch Schelte und Strafen in solcherart Situationen nach meiner Erfahrung eher zu der Schlussfolgerung, sie handeln noch nicht überzeugend genug und verstärken ihr Verhalten.
In meinem Ansatz geht es darum, das Trauma der Frau zu integrieren, einen Zugang zu ihrem gesunden Wesenskern zu finden und mit dieser Präsenz Hundebegegnungen und alle anderen Situationen im Leben zu meistern. Das Verhalten des Hundes war nicht ursächlich für ihre Angst, sondern brachte ans Licht, dass sie in allen Lebenssituationen Unsichtbarkeit lebte. Hätte der Hund mit seinem Verhalten nicht immer wieder ihr Trauma berührt, hätte sie vermutlich weiter die Luft angehalten, keinen eigenen Lebensausdruck gewagt und in ihrem Leben nie stattfinden können.
Therapeuten
Vielleicht sind Tiere oft deshalb so gute Therapeuten, weil sie Menschen NICHT in der Vergangenheit begegnen können - sondern nur in der Gegenwart. Sie sind also ausgezeichnete, wahre Spiegel, wenn wir sie nicht mehr als Dressurobjekt betrachten und mit ihnen die eigene Kindheit wiederholen. Tipps, wie wir den Hund in bestimmten Situationen besser in Griff bekommen, bewegen sich auf einer Ebene, die nach meiner Erfahrung keine innere Beruhigung und Heilung eines Menschen ermöglicht. Dies ist sicher auch der Grund für das empfundene Scheitern vieler Hundehalter, die sich einfach überfordert von immer neuen Ratschläge fühlen, die sie bewältigen sollen. Es ist jedes Mal unglaublich berührend, wie erstaunt Menschen reagieren, wenn sie sich ihrer verschiedenen Anteile bewusst werden und der Hund (wie jeder andere Beziehungspartner auch) ihnen plötzlich mit einem anderen Verhalten ganz neue Antworten zeigt.
Gern unterstütze ich dich dabei in meinem Heilkreis oder den Weiterbildungen.